Herausfordernde Zeiten
Die Unschuld der Begegnung und die Leichtigkeit des Seins verschwinden hinter den Masken.
Aber manchmal bin ich vielleicht froh darüber, die Mimik einiger Mitmenschen nicht mehr sehen zu müssen.
Mir geht es nicht um Party und Gedränge in den Innenstädten (beides stößt mich ab). Ich vermisse das Gefühl des bisherigen, weitgehend unbeschwerten Lebens.
Die zunehmende Digitalisierung angesichts eingeschränkter persönlicher Begegnungen liegt mir wie eine schwere Last auf den Schultern. Das zeigt sich vor allem in Wahrnehmungen, denen ich in dieser Zeit deutlich mehr Beachtung schenke als vorher.
- In Europa kostet es große Mühe, das Miteinander zu pflegen und zu stärken.
- Konservative, teils autokratische Regierungen plädieren für den Egoismus des eigenen Volkes und das Recht der Stärkeren.
- Errungenschaften einer liberalen Gesellschaft werden bekämpft und verändert. Die Leidtragenden sind Frauen, Schwache, Randgruppen und Migrant*innen.
- Faschistischen Parolen wird nicht energisch genug begegnet.
Doch während ich schweren Herzens diese Zeilen in meinem Haus im Warmen und bei einem Glas Wein schreibe, wird mir bewusst, wie abgehoben diese Zeilen Menschen erscheinen werden,
- die in diesem Moment nicht wissen, was sie ihren hungernden Kindern zum Essen geben sollen;
- die sich und ihre Lieben vor Gewehrkugeln und Giftgas zu schützen versuchen;
- die mit ansehen müssen, wie ihre Lieben auf der Flucht vor dem Grauen ertrinken, gefoltert oder missbraucht werden.
Jetzt schäme ich mich. Morgen, wenn ich diese Gedanken wieder verdrängt habe, bläht sich der Kosmos meiner Wahrnehmung wieder ins Unermessliche. Und: Wie komme ich aus diesem Dilemma heraus? Wie sehe ich meine Aufgabe als jemand, der in Sicherheit lebt?
Mir ist klar, dass ich in meinem Leben nur winzige Taten für eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit leisten kann. Was noch? Vor einigen Tagen habe ich einen, wie ich finde, klugen Satz gehört: „Unsere Aufgabe ist es bei allem Engagement erst einmal, die unzähligen Momente der Ungerechtigkeit auszuhalten und daran zu leiden. Unsere Aufgabe ist es weiterhin, nicht wegzuschauen, nicht abzustumpfen und nicht weg zu erklären.“
Das ist sicher auf den ersten Blick nicht unbedingt Frohe Botschaft für uns; für die Betroffenen sicher wohl.
Dietmar Prielipp