Solange ich zurückdenken kann, ist Europa eine wunderbare Erfahrung für mich. Aus Feinden wurden Freunde. Sowohl die Staaten wie Einzelne hatten den unbedingten Willen, sich verstehen und schätzen zu wollen, damit so etwas wie die Weltkriege nicht wieder auf europäischem Boden geschehen solle. Spätestens mit der europäischen Öffnung zum Osten hin mussten wir mit den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien zurechtkommen. Erschreckende Bilder für Menschen in Europa, die sich nach 1945 im Frieden eingerichtet hatten. Umso wichtiger schien es, europäische Grundwerte auch in diesen Ländern zu verankern. Manche Menschen (wie auch ich) träumten von den „Vereinigten Staaten von Europa“.
Nationalistische Tendenzen in Europa fanden schließlich im Brexit einen unrühmlichen Höhepunkt. 2016 gründete sich in Frankfurt am Main „Pulse of Europe“ (englisch für „Europas Puls“) als eine überparteiliche und unabhängige Bürgerinitiative. Das Ziel: „den europäischen Gedanken wieder sichtbar und hörbar zu machen“. Diese öffentliche und pro-europäische Bewegung ist für alle, die das Europa der offenen Grenzen lieben, ein Geschenk und ein Aufruf gleichermaßen: Tue etwas und engagiere Dich! Ich bin froh, dass wir “Pulse of Europe” Mönchengladbach mit unserem freiRAUM im Kolpinghaus unterstützen können.
Diesen Text habe ich vor etwas mehr als einem Jahr geschrieben. Heute frage ich mich, was vom europäischen Traum geblieben ist. Ich habe seit einigen Jahren den Eindruck, dass Regierungen europäischer Länder mehr durch Egotrips denn durch Kooperation auffallen. Das wurde besonders in der Frage deutlich, wie Europa mit Flüchtlingen umgeht. Manchmal beschleicht mich der Eindruck, dass manche Länder nur profitieren, aber nichts geben wollen. Damit höhlen sie den europäischen Gedanken aus.
Helmut Schmidt sagte einmal: „In der Krise beweist sich der Charakter.“ Charakter? Ich nehme wahr, dass die meisten Mitgliedstaaten eine Moral an den Tag legen wie die Menschen, die reflexartig jede Rolle WC-Papier an sich reißen und nicht an die anderen Menschen denken. Viele Mitgliedstaaten der EU verhalten sich zurzeit so, wie man sich in einer Gemeinschaft nicht verhalten sollte. „Ein Haufen Egoisten ergibt noch lange keine Gemeinschaft.“ sagte Oliver Kalkofe vor einigen Tagen.
Vielleicht geht es euch so wie mir: Ich möchte in den kommenden Jahren gerne wieder freie Zeit am Mittelmeer verbringen und dies in der Wahrnehmung, unter Freunden zu leben. Ich möchte nicht als asozialer Deutscher angesehen werden, dem das Schicksal von Freunden egal ist.
Unser Verband ist durch Solidarität im Inneren und nach außen geprägt. Aus diesem Denken heraus erwarte ich von den politischen Entscheidungsträgern unbedingte Solidarität mit den Ländern, die es deutlich härter getroffen hat als uns.
Dietmar Prielipp, Geistlicher Leiter